Insolvenz ist nicht gleich Insolvenz - welche Verfahren gibt es?
Schutzschirmverfahren, Eigenverwaltung oder Regelverfahren. Welche Insolvenzverfahren gibt es eigentlich und was sind die Vorteile?
Was sind eigentlich die Voraussetzungen für ein Schutzschirmverfahren?
Das Schutzschirmverfahren ist eine Unterform der Insolvenz in Eigenverwaltung. Konkret bedeutet das, dass es eine Eigenverwaltung ohne Schutzschirm und auch die Eigenverwaltung mit Schutzschirm gibt. Diese beiden Verfahren sind Alternativen zu der Regelinsolvenz. Während bei Letzterer ein Insolvenzverwalter bestellt wird und die Geschäftsführung allein übernimmt, bleibt die ursprüngliche Geschäftsführung bei der Eigenverwaltung im Amt und bekommt einen sogenannten Sachverwalter als gerichtlich bestellten Aufpasser an die Seite gestellt. Um ein Schutzschirmverfahren in Anspruch zu nehmen, darf keine Zahlungsunfähigkeit vorliegen. Zudem bedarf es einer besonderen Bescheinigung der lediglich drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 270 Abs. 1 InsO. Außerdem hat der Schuldner nach Antragsstellung drei Monate Zeit, um einen Insolvenzplan vorzulegen.
Welche Vorteile bietet das Schutzschirmverfahren gegenüber einer normalen Insolvenz und warum können davon vor allem größere Unternehmen profitieren?
Zum einen behält die Geschäftsführung bei einem Schutzschirmverfahren die Verfügungsgewalt, da das Gericht lediglich einen Sachverwalter als Aufseher statt eines Insolvenzverwalters bestellt. Zum anderen sind Schutzschirmverfahren mit einer Dauer von drei bis zwölf Monaten verglichen mit einer Regelinsolvenz deutlich schneller vollzogen. Die kann im Schnitt drei bis sechs Jahre dauern. Zudem hat das Unternehmen nach Antragstellung drei Monate Zeit, eine Sanierung durch einen Insolvenzplan vorzubereiten. In diesen drei Monaten gilt zusätzlich eine Vollstreckungssperre der Gläubiger. Darüber hinaus muss ein Schutzschirmverfahren nicht öffentlich bekannt gegeben werden und beinhaltet nicht das Wort „Insolvenz“, wodurch schlechte Presse oder Maßnahmen von Kunden und Lieferanten vermieden werden können.
Auf der anderen Seite entstehen, dadurch dass für diesen Prozess viele Beteiligte involviert werden müssen – wie zum Beispiel die Geschäftsführung, Berater, Sachverwalter – hohe Kosten. Gleichzeitig setzt dieser Umstand eine gewisse Unternehmensgröße voraus. Auch die Bescheinigung der Sanierungsfähigkeit nach § 270d Abs. 1 InsO bringt Kosten und Hürden mit sich. Weiterhin darf keine Zahlungsunfähigkeit vorliegen, um das Schutzschirmverfahren in Anspruch zu nehmen. Und das Verfahren ist weitaus komplexer als ein normales Insolvenzverfahren.
Erleichtert ein Schutzschirmverfahren die Fortführung bzw. den Verkauf des Unternehmens im Vergleich zur normalen Insolvenz?
In der Tat dürfte die Eigenverwaltung und auch das Schutzschirmverfahren die Fortführung des Unternehmens erleichtern. Zum einen ist der Insolvenzantrag in der Regel besser vorbereitet und erfolgt auch früher, somit in einer Phase in der mehr gestaltet werden darf. Zum anderen wird beim Schutzschirmverfahren Zahlungsfähigkeit vorausgesetzt. Wer also im Schutzschirm saniert, ist zahlungsfähig. Das wissen auch die Lieferanten und Kunden, die dann nicht abspringen, sondern vielmehr das Unternehmen bei der Sanierung unterstützen. Entsprechend erleichtern feste Kunden- und Lieferantenbeziehungen oder Vermögensgegenstände auch den Verkauf des Unternehmens. Außerdem ist das Management weiterhin dabei und auch Expertise sowie relevante Kontakte bleiben im Unternehmen. All das kann die Fortführung oder eben den Verkauf erleichtern.
Gibt es Informationen, wie das Verhältnis zwischen normaler Insolvenz und Schutzschirmverfahren in etwa in Prozent ist?
Von allen Unternehmensinsolvenzen sind lediglich rund 3,5 Prozent der Verfahren Eigenverwaltungen mit und ohne Schutzschirm. Dagegen sind rund 96,5 Prozent der Verfahren Insolvenzverwaltungen im Regelverfahren. In 2021 waren von 13.991 Unternehmensinsolvenzen lediglich 210 Insolvenzen in Eigenverwaltung, davon waren rund 14 Schutzschirmverfahren. Dies erklärt sich dadurch, dass in über 90 Prozent der Fälle der Grund für den Antrag die Zahlungsunfähigkeit war. Und bei Zahlungsunfähigkeit ist eine Eigenverwaltung schwieriger, ein Schutzschirm dagegen überhaupt nicht möglich.
Wie fällt die Bilanz knapp zehn Jahre nach der Einführung aus?
Mit dem ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (BGBl. I S. 2582)), das die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren einführte, wurde nach Meinung vieler Experten die Sanierungskultur gestärkt. Dem kann ich nur zustimmen. Mit Eigenverwaltung und Schutzschirm wurden Werkzeuge geschaffen, die eine schuldnerverantwortliche Sanierung ermöglichen und Schuldner motivieren, sich mit der eigenen Krise früher auseinanderzusetzen. Gläubiger werden stärker einbezogen und erhalten mehr Verfahrensrechte.
Jedoch ist ein teilweiser Missbrauch des Instruments durch ein „Weiter- So“ nachteilig, was insbesondere in den Fällen problematisch ist, in denen die Geschäftsführung des Schuldners Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Schade ist, dass das Instrument für viele mittlere und kleinere Unternehmen aufgrund der Komplexität des Verfahrens und der vergleichsweise hohen Kosten häufig nicht in Betracht kommt.
Autor:
Dr. Tobias Moser ist Rechtsanwalt und Partner der Wirtschaftskanzlei DMR Legal in München mit einem besonderen Schwerpunkt in Restrukturierungssituationen, Bank- und Kapitalmarktrecht, Gesellschaftsrecht sowie Prozessführung. Zu seinen Mandanten zählen Gläubiger und Geschäftsführer von Unternehmen jeder Größenordnung (national und international), die er in komplexen und herausfordernden Situationen rechtlich und strategisch berät.
DMR Legal ist eine überregionale Wirtschaftsboutique mit Büros in München und Ulm. Der Beratungsfokus der Kanzlei liegt in den Rechtsgebieten Finanzierung, Restrukturierung, Gesellschaftsrecht und Prozessführung. Alle Partner von DMR sind selbst unternehmerisch tätig und waren bzw. sind Geschäftsführer, Aufsichtsräte und sonstige Organe. Alle Rechtsanwälte von DMR verfügen über jahrelange Erfahrung in ihren jeweiligen Schwerpunkten und verstehen sich als rechtliche Berater mit wirtschaftlichem Sachverstand, die stets den wirtschaftlichsten und pragmatischsten Weg für ihre Mandanten suchen.
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